Modus Moduli - German

MODUS MODULI

 

Die Ausstellung „Modus Moduli“ geht von der Idee des Moduls aus, die aus der klassischen Architektur stammt. Die Idee des Moduls beginnt bei den so genannten „griechischen Ordnungen“. Er tritt in der Architektur der Renaissance deutlich hervor und spielt auch noch bei den allzu-schwärmerischen Bauten des Historizismus seine Rolle. Der Modul war jene Einheit einer architektonischen Struktur, deren Maß die Maße des Ganzen bestimmte.

Die Abhandlungen der Antike erläutern, dass der Modul der Teil des Bauwerks war, dessen Maß dividiert, verdoppelt oder multipliziert wurde, um die Maße der anderen Elemente der architektonischen Struktur – inklusive der Höhe und der Ausladung – zu erhalten. Dem lag das hierarchische Prinzip der Proportion zu Grunde.

 

In einer theoretischen Abhandlung erklärt Vitruv, das Prinzip der Proportion bestünde darin, dass bestimmte Teile in einem genau festgesetzten Maß-Verhältnis zum Ganzen stehen müssten (1). Verschiedene Systeme und Theorien betreffend die Proportion sind überliefert: Am Anfang war der Gedanke, die Proportion sei der Schlüssel zur perfekten Schönheit. In diesem Gedanken gründet viel von der klassischen Architektur und Kunst. Im 20. Jahrhundert wandte Le Corbusier eine Auffassung von Proportion an, die mehr Bezug zu rationalistischem Denken und zur Nützlichkeit hatte.

 

Der Terminus Modul bezeichnet in der Architekur der Gegenwart das standardisierte Element, welches – sich in  regelmäßigen Abständen oder in rhythmischer Abfolge wiederholend – das Ganze eines Bauwerks nach Außen hin formal gestaltet. Im Unterschied zum oben beschriebenen antiken Begriff Modul ist dieses Modul der Gegenwart Teil einer Struktur von Verhältnissen ohne hierarchische Anordnung. Den Bauhaus-Postulaten verpflichtet, zeigt der Großteil der Architektur der Gegenwart klare, schmucklose Formen, die – von den An- und Verbindungen eines Moduls ausgehend – die Verhältnisse unterschiedlicher Volumina zueinander oder die Beziehung zwischen Innen- und Außenräumen erkunden. Dieser Modul, verstanden als der standardisierte und vereinheitlichte Teil eines Ganzen, ist ein repräsentatives Symbol und Thema der Ausstellung „Modus Moduli“.

„Modus Moduli“ lädt dazu ein, sich über Architektur Gedanken zu machen; nicht über die Architektur, die wir bewohnen, sondern über die Architektur, vor deren Hintergrund wir uns von Ort zu Ort begeben, die wir umrunden, durchqueren, sehen. Es ist die Architektur der Fassaden, die Architektur, die wir  visuell erfahren. Sie gleicht einer Theater- oder Filmszenerie, vor deren Hintergrund sich unsere tägliche Wirklichkeit abspielt.

Diese urbanen architektonischen „Kulissen“ –  die Szenerie der heutigen Stadt – sind eine eindeutige Metapher für die Gegenwart. Es geht nicht um die historische hierarchische Stadt – die „Panorama-Stadt“ oder die „Museum-Stadt“ (2) –, die in Reiseführern und auf Postkarten als einmalig dargestellt wird. Es geht um die „Standard-Stadt“ – postmodern, hybrid und ohne eigene Persönlichkeit.

Die Fassaden der urbanen Architektur der Gegenwart, ebenso wie die Außengestaltung neuer Infrastruktur, sind ein plastisches Abbild der Dynamik der postindustriellen Gesellschaft der Gegenwart und ihrer Kultur inklusive unserer veränderten Welt-Wahrnehmung und Alltagspraktiken. In dieser Gesellschaft verschnellert sich der Verkehr von Personen, Waren und Kapital sowie der Austausch von Informationen. Die Zentren wirtschaftlicher und politischer Macht – miteinander vernetzt und wechselseitig voneinander abhängig – dezentralisieren sich zusehends um neue Modelle, Macht zu organisieren und einzusetzen, zu schaffen (3). Diese Gesellschaft wird durch die Fernseh-Kultur standardisiert und durch die sportlich-künstlerischen Großereignisse und den Tourismus vermasst; diese Phänomene bringen eine Vereinheitlichung der Einstellungen, Denkmuster und der Ideologien mit sich. Diese Gesellschaft hat über das Internet Zugang zu stets wachsenden Informationsquellen, hinterfragt aber gleichzeitig – mittels des so genannten „postmodernen Denkens“ – das hierarchische, etablierte und institutionalisierte Wissen und untergräbt gerade von den wissenschaftlichen und akademischen Instanzen aus dessen Autorität.

Die globale Wirklichkeit der postindustriellen technologisierten Gesellschaft der Gegenwart und ihrer postmodernen Kultur zeigt sich als ein nicht-hierarchisches, entterritorialisiertes und standardisiertes Ganzes. Und die Stadt – als Ort ständiger Veränderung, wo viele neue Formen sozialer Kohäsion entstehen – wird als fragmentierte, dynamische und vernetzte Wirklichkeit erfahren, ebenso wie die plastischen Formen ihrer Architektur.

Obwohl Claus Prokop und Esther Stocker sich in ihren Arbeiten sehr unterschiedlicher Sprachen bedienen – Video beziehungsweise Malerei – so ist diesen Arbeiten doch gemeinsam, dass sie das Element des Moduls zum Mittel ihrer Erkundungen machen. Gemeinsam sind ihnen auch gewisse „architektonische“ Aspekte der von ihnen erreichten bildnerischen Resultate.

Das Werk Esther Stockers stellt eine Frage, die in der Geschichte der Malerei klassisch ist: Wie ist jener Prozess beschaffen, der zwischen dem Sehen und dem geistigen Erfassen des Gesehenen liegt? – Die maltheoretische Frage nach der Beziehung zwischen dem, was auf der Leinwand „abgebildet“ ist und dem, was im Geist des Betrachters „erzeugt“ wird, gestellt mittels Strukturen, die nichts abbilden, die konstruiert und grundlegend architektonisch sind.

Stocker entwickelt auf analytische und systematische Weise in jedem ihrer Werke eine bestimmte An- und Verbindungen von Modulen, die – in Form und Farbe immer auf das Wesentlichste reduziert – von klaren Relationen zwischen geometrischen Flächen, Segmenten und Linien ausgehend eine autonome Struktur von Verhältnissen bauen. In jedem Gemälde, in jeder Gemälde-Serie – die sich als eine Progression präsentieren – und in jeder Installation innerhalb eines konkreten Raums erforscht Stocker die wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen Modulen (objektiv, real) und dem Ergebnis dieser An- und Verbindungen von Modulen als Wahrnehmung (subjektiv, Illusion).

Einfachste Kompositionen auf der Basis von elementaren geometrischen Mustern, reduziert auf die Farben Schwarz-Weiß, auf die Farbe Grau: Die Malerei Esther Stockers bewirkt durch die extreme Vereinfachung im Formalen eine radikale Neuordnung in der Wahrnehmung von Raum.

Das Werk von Claus Prokop beginnt mit einem Element, das für seine Arbeiten spezifisch ist und sich auf den Leinwänden, in den Räumen, die die Installationen bestimmen, und in den Videos wiederholt. Es ist ein Modul-Element, das als Basis dient und dessen ständige Wiederholung signalisiert, dass seine Präsenz die scheinbare schmückende oder dekorative Funktion weit übersteigt.

Das malerische Werk von Claus Prokop zeigt bei eingehender Betrachtung jedes einzelnen dieser Elemente – bei nur minimalen und nicht wiederholbaren Variationen – die tektonische Struktur, die es formt, und die verschiedenen  Material-Schichten, aus denen es besteht. Auf diese Weise könnte jedes Element ein einzelnes Gemälde für sich sein und ist doch gleichzeitig Teil eines Ganzen innerhalb des Raums eines großen Gemäldes.

Besonders interessant ist, wie die Weiterverfolgung dieses bestimmenden Prinzips den Künstler dazu führte, andere bildnerische Sprachen zu entwickeln – mit ganz anderen Resultaten. Ausgehend von der Fotografie eines Gemälde-Fragments – gescannt und in Reihen an einer durchsichtigen Wand angeordnet – greift Prokop in architektonische Räume ein, als ob es sich um Räume von Gemälden handeln würde. Auch wenn das veränderliche Element der Hintergrund ist, den man durch die Wand wahrnimmt, und nicht das an dieser in Reihen angeordnete Modul-Element, gelingt es Prokop wieder die zweidimensionale Fläche unter dem Gesichtspunkt tektonischer Strukturen zu behandeln, genau wie in seinen Gemälden.

In letzter Zeit hat der Künstler viele Video-Arbeiten hergestellt, unter anderem jene drei, die bei dieser Ausstellung gezeigt werden und in die Ton und Bewegung integriert wurden. In der jüngsten dieser Arbeiten („Raumgitter“, 2006) fügt Prokop diesen Basis-Modulen, denen jetzt ein dreidimensionaler Effekt anhaftet, bestimmte Tonkadenzen sowie synkopische Bewegungsabläufe hinzu. Ausgehend von dem selben bestimmenden und immer wiederkehrenden Prinzip, das für sein ganzes Werk kennzeichnend ist, gelangt Prokop einmal mehr zu neuen und völlig überraschenden bildnerischen Ergebnissen.

In diesem Katalog kommen Fotografien von Annette Munk zur Veröffentlichung. Ich hatte erstmals die Gelegenheit, das Werk von Annette Munk im April dieses Jahres in einer Wiener Galerie kennen zu lernen, wo sie in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Romana Hagyo einen Teil des ihnen gemeinsamen Projekts „Standard life/living standard“ (2005-2006) zur Ausstellung brachte, welches die zwei Künstlerinnen bereits in Tabor, Berlin und Krakau präsentiert hatten.

Munk zeigte bei jenem Anlaß verschiedene Serien von Fotos von Gebäude-Fassaden sowie von Elementen der Stadt-Möblierung, welche die Idee der Standardisierung, der serienmäßigen Wiederholung und der Gleichförmigkeit hervorheben, alles Konzepte, die eng mit jener Idee verbunden sind, die am Anfang von „Modus Moduli“stand. Weil das Projekt für die Ausstellung bereits beschlossen war, bat ich die Künstlerin, ob sie mir die Veröffentlichung von zwei ihrer Photo-Serien im Katalog gestatten würde. Ich möchte mich an dieser Stelle bei ihr für diese uneigennützige Zusammenarbeit bedanken.

 

Übersetzt von Heinrich Blechner

 

Anmerkungen

1 A. Blánquez: Vitrubio y los diez libros de Arquitectura, 1980

2 M.Mora: Formas de la Urbe/Observaciones sobre las urbes contemporáneas, 2005

3 M. Hardt, A. Negri: Imperio Imperium, 2002

4 P. Jardí: Revista Lápiz/213, 2005

5 www.hagyo.at/standard

 

Pia Jardí

(Katalog MODUS MODULI)

Modus Moduli - English

MODUS MODULI

 

The exhibition „Modus Moduli“ revolves around the concept of the module, originally used in connection with the so-called “Classical orders” of Greek architecture. It had a particular relevance in Renaissance architecture and continued to serve its purpose for the excessively lyrical constructions of Historicism. The term module referred to the part of an architectural structure which acted as a unit of measurement for the structure as a whole.

Ancient treatises describe the module as that part of a building which - divided, doubled, and multiplied - determined the dimensions of the architectural structure’s other elements, including height and width. This was based on the hierarchical principle of proportion. According to Vitruvius’ theoretical text on the subject, the principle of proportion ruled that certain individual parts needed to exhibit a precise and predetermined relationship with the dimensions of the whole (1). Tradition knows a variety of systems and theories of proportion, beginning with the idea that perfect proportions might be the key to ideal beauty. Much of classical architectural and art is founded on this idea, while in the 20th century Le Corbusier applied a concept of proportion more closely aligned with rationalist thought and utility.

 

In contemporary architecture, the term module defines a standardised element – occurring at regular intervals or in rhythmic succession – that lends formal cohesion to a building’s exterior. Whereas the module of antiquity was associated with hierarchical order, the contemporary use of the term simply implies a structure of relationships. In line with the ideas postulated by the Bauhaus movement, most of contemporary architecture uses clear, unornamented forms – based on the recombination of a module – to explore the interrelationships of different volumes or the relationship between interior and exterior space. It is this sort of module, a standardised and unified part of a greater whole, that provides the exhibition „Modus Moduli“ with a representative symbol and theme.

„Modus Moduli“ invites the viewer to speculate about architecture. Not so much the architecture we inhabit but the architecture we pass by, walk around or across, or look at. Facade architecture, architecture as visual experience and as a theatrical or cinematic backdrop to our everyday reality.

Such urban architectural “scenery” offers a striking metaphor for the modern age. The historical and hierarchical city – also known as the “panoramic” or “museum city” (2), and displaying its unique character in guidebooks and postcards – makes way for the “standard city”, post-modern, a hybrid and without individual personality.

The facades of contemporary architecture, as well as the exterior design of modern infrastructure, plainly reflect the dynamics of contemporary post-industrial society and its culture, including our altered perception of the world and everyday practice. In this society, the transfer of people, goods, and capital, as well as the exchange of information occurs at a rapidly accelerating pace. The centres of economic and political power – interconnected and interdependent – are becoming increasingly decentralised, creating new models for the organisation and implementation of power (3). This society obeys the standards of TV culture and has become geared towards the mass audiences of mega-sport or mega-art events and of tourism, resulting in a homogenisation of attitudes, though-patterns, and ideologies. This society has access to the almost inexhaustible source of information embodied by the Internet but, at the same time, employs „post-modern thinking“ to call into question established, hierarchical and institutional knowledge, subverting its authority through scientific and academic method.

The global reality of contemporary post-industrial, technocentric society and its post-modern culture presents itself as a non-hierarchical, non-territorial, standardised whole. And the city, the site of constant change and the creation of many new forms of social cohesion, is experienced as a fragmented, dynamic, and interrelated reality – much like its three-dimensional expression, architecture.

Although the work of Claus Prokop and of Esther Stocker uses a very different idiom – video as opposed to painting – both artists employ the module as an instrument in their investigations. In addition, they arrive at artistic conclusions that share a certain “architectural” element.

The work of Esther Stocker poses one of the classic question of painting: What is the nature of the process taking place between perception and recognition? – in other words, a theoretical investigation of the relationship between what is “depicted” in the canvas and what is “generated” by the mind of the viewer; carried out by means of non-representational structures that are contrived and fundamentally architectural in quality.

In each of her works, Stocker analytically and systematically arranges and composes modules – highly condensed in shape and palette – into an autonomous structure based on the distinct relationships between geometrical planes, segments, and lines. In each of her paintings, each (progressive) series of paintings, and in every installation within actual space, Stocker explores the interrelation between these modules (objective, real) and the effect produced by their composition as a form of perception (subjective, illusion).

Very simple compositions based on elementary geometrical patterns and reduced to a palette of black, white, and grey: Esther Stocker’s painting employs extreme formal reduction to achieve a radical restructuring of the perception of space.

Faced with Claus Prokop’s work, one particular element is seen repeatedly to reoccur throughout his work, on canvas, in spatial installations, and in video. It is a basic module element, the constant repetition of which signalises that it has a much stronger presence than its apparent decorative function implies.

On closer consideration, Claus Prokop’s painting displays all these individual elements – with minimal and unique variations – the underlying tectonic structure as well as the different layers of material. As such, each element could be a painting in its own right, while simultaneously remaining within the limits defined by the greater painting as a whole.

It is fascinating to observe how the inquiry into this particular principle induces the artist to develop different pictorial idioms – with very different results.  Starting with the photograph of the fragment of a painting – scanned and arranged in rows on a transparent wall – Prokop intervenes in architectural space as if he was dealing with pictorial space. Even though it is the background seen through the transparent wall (rather than the ordered rows of the module element) that provides the mutable element, Prokop once again manages to address two-dimensional space in terms of tectonic structure – as he did in his paintings.

Recently, the artist has produced a number of video works, including the three shown at this exhibition, that integrate sound and movement. In the most recent of these works („Raumgitter“, 2006) Prokop adds certain cadences and syncopated movement sequences to his basic modules, lending them a three-dimensional effect.  Employing the recurring principle so typical of his entire oeuvre, Prokop once again achieves new and unexpected artistic results.

This catalogue also contains a number of photographs by Annette Munk. I first came across the work of Annette Munk in April this year, at a Vienna gallery showing part of her joint project with Romana Hagyo „Standard life/living standard“ (2005-2006), which the two artist had previously presented at Tabor, Berlin and Krakow.

Munk that day presented several photo series of facades and elements of ‘urban furnishing’ likewise emphasising the idea of standardisation, serial repetition, and uniformity, i.e. concepts very closely related to those at the outset of „Modus Moduli“. As this exhibition project had already been decided upon, I asked Annette Munk if she would permit the publication of two of her photo series in this catalogue. I would like to use this opportunity to thank her for her kind cooperation.

 

 

Notes

1 A. Blánquez: Vitrubio y los diez libros de Arquitectura, 1980

2 M.Mora: Formas de la Urbe/Observaciones sobre las urbes contemporáneas, 2005

3 M. Hardt, A. Negri: Imperium, 2002

4 P. Jardí: Revista Lápiz/213, 2005

5 www.hagyo.at/standard

 

Pia Jardí

(Catalog MODUS MODULI)