GESPRÄCH GUNTER DAMISCH - CLAUS PROKOP

Aufgezeichnet und redaktionell bearbeitet von Alexandra Grubeck im Mai 1996

 

D: Meine erste blöde Frage: sind Sie Landschaftsmaler?

P: Ja.

D: Diese Bildvorstellungen haben sich tatsächlich aus einer Auseinandersetzung mit Landschaft entwickelt?

P: Ja, es sind eindeutig Landschaftsbilder, wobei es mir nicht um konkrete Abbildungen geht, sondern darum, Erinnerungen an gewisse Situationen in der Natur und damit verbundene Gefühle bildnerisch auszudrücken.

D: Arbeiten Sie auch direkt in der Landschaft, oder erhält etwas Mitgenommenes erst durch Reflexion diese landschaftliche Implikation?

P: Ich arbeite nur im Atelier, aus der Erinnerung, ohne Skizzen.

D: Gibt es in Ihrem Bezug zur Landschaft verschiedene Ansätze, Blickwinkel, die die Erfahrungen unseres Jahrhunderts, beispielsweise fliegen zu können, implizieren?

P: Ich wähle keine bestimmte Perspektive, allerdings wird die sogenannte Vogelperspektive den Bildern noch am ehesten gerecht.

D: Viele dieser Arbeiten haben Feldcharakter.

P: Dafür gab es ein Schlüsselerlebnis: Während einer Fahrt ins Waldviertel hatte ich die Idee, diese Landschaft, diese Feldstrukturen zu malen. Dinge, die mich schon während meiner Kindheit in Kärnten faszinierten, habe ich dort unheimlich schön wiedergefunden, - scharf begrenzte Felder, jedes in einer anderen Farbe und trotzdem ein harmonisches Ganzes bildend!

D: Eigentlich spiegelt dieses Bild der Natur ihren Zustand als Kulturprodukt, nach vielen Eingriffen des Menschen, wieder.

P: Ich glaube nicht, daß man in Österreich noch unberührte Natur findet.

D: Das ergibt für mich einen Zusammenhang zwischen der, nennen wir sie "Natur-Natur" und der "Natur-Menschliche Natur", die aufeinanderprallen und zu bestimmten gestalterischen Möglichkeiten führen. Das korrespondiert mit dem Prozeß, der bei einem Künstler aus seiner inneren Natur und der Natur der Sache - in dem Fall der Malerei -, eine dynamische Spannung entwickelt. Sind dabei auch historische Reflexionen über bestimmte Positionen von Malern eingeflossen?

P: Konkrete Vorbilder habe ich nicht. Sicherlich bin ich aber bei der Wiedergabe von Strukturen einzelner Farbflächen von Mark Rothko beeinflußt, obwohl das gegenstandslose Malerei par excellence ist.

D: Vor allem geht es um etwas Subtiles im Umgang mit Strukturen. Auch bei Rothko ist der Weg zum Typischen seines Werkes über das Abarbeiten von abbildhaften Möglichkeiten gelaufen. Irgendwo war es ein Reduktionsprozeß, ein Verfeinerungsprozeß. Der Begriff Colourfieldpainting beinhaltet ebenfalls diesen Feldbegriff.

P: Ja, jedoch von einer anderen Gedanklichkeit aus.

D: Bei vielen der Bilder fällt mir auf, daß es eine Dynamik zwischen der großen kompositorischen Konzeption, dem Feldhaften und dann zwischen den eingeschriebenen Strukturen und ihren Differenzierungen gibt.

P: Das hat mit meiner Betrachtungsweise zu tun: wenn ich mich in der Natur bewege, habe ich einen Zweig direkt vor Augen, der dann natürlich mehr Wichtigkeit besitzt als eine entfernte Feldstruktur. Andererseits ergibt beides zusammen wieder ein Ganzes.

D: Sie werfen also einen collagierenden Blick, der bestimmte Details im Großen und im Kleinen neu zueinandersetzt. Manchmal scheint es eine Abfolge im Sinn des Weitertreibens, des Exemplarischmachens von Möglichkeiten zu geben.

P: Der Begriff Collagieren paßt sehr gut. Vergleicht man diesen Vorgang mit der Fotografie, so ist es eher ein Film als ein Foto, allerdings konzentrieren sich die einzelnen Kader zu einem Gesamtbild.

D: Der Film als Vergleichsebene würde auch Bewegung thematisieren, die Folge von Sequenzen und Modulationen. Es scheint Bewegungen von einem Bild zum nächsten, von einer Fläche zur nächsten und Spannung zwischen der Aufbereitung der Flächen von flach und offen bis hin zu strukturiert und Tiefe suggerierend zu geben. Dort hinten ist eine Arbeit, wo plötzlich eines der Felder graphische Elemente aufweist, wo ein Zoomeffekt auf größere Nähe hindeutet.

P: Das war auch mein Vergleich, daß ich die Möglichkeit des Zoomens habe, der Makroaufnahme, Details größer als 1:1 darzustellen.

D: Makrostrukturen. Allerdings handelt es sich nicht um malerisch-zeichnerisch ausgefeilte Details, sondern um strukturell dominierte, wobei die Machart analog zu Vorgängen in der Natur ist: auftürmen, aufschichten und dann der Reduktionsprozeß: auswaschen, wegwischen.

P: Mir geht es nicht um die realistische Wiedergabe, sondern um das innere System, die Idee, die dahinter steckt.

D: Nicht um das Spezifische, sondern um das Typische, dessen Struktur nicht nur durch einen rein aufbauenden, eine Illusion anstrebenden Malprozeß zu bewerkstelligen ist, sondern durch eine dem Material Eigengesetzlichkeit zubilligende Verfahrensweise.

P: Ich lasse das Bild wachsen, indem ich Farbtupfen übereinander setze und dadurch eine organische Struktur bekomme.

D: Es liegen da auch Striche, Linien und vor allem Flächen und Lasuren aufeinander, die ahnen lassen, daß diese Tiefe mit einer Dichte und einer Komplexität des Prozesses einhergeht.

P: Ja, mir ist auch der auf den ersten Blick nicht nachvollziehbare Malprozeß sehr wichtig. Ich spüre die Dinge, die unter den oberen Schichten liegen, selbst wenn diese nicht lasierend sind.

D: Das Bild als ein energetisches Speichermedium über das Visuelle hinaus?

P: Daran glaube ich! Ich fühle die Arbeit, die in der Sache steckt.

D: Obwohl man diese nicht als mühevolle Beschwernis spürt. Irgendwie haben die Dinge ja eine Frische, eine Leichtigkeit, wenn sie gelungen sind.

P: Mir macht die handwerkliche Tätigkeit, das sinnliche Erlebnis des Farbauftrags extreme Freude, was sicher ein Grund ist, warum ich male.

D: Obwohl es nicht wie ein hedonistisches Austoben wirkt, da in der Deutlichkeit oder Offenheit des Flächensetzens doch sehr viel Kontrolle und Bewußtsein enthalten sind. Daß zum Beispiel die lineare Struktur eines Astelements kaum zeichnerisch, sondern erst durch die umschreibende Fläche klar definiert wird.

P: Das resultiert aus der Idee von Positiv- und Negativraum, aus der Frage, sehe ich jetzt einen Baum oder die Luft, die rundherum ist; sowohl das Objekt als auch die es umschließende Luft bilden den Raum.

D: Es gibt Elemente, die stark mit fast ornamentalen Strukturen arbeiten, die durch Wiederholungen bestimmter Mittel wie Punkte, Striche, Flächen einen Rhythmus erzeugen, etwas Typisches gewinnen.

P: Da steckt die Idee dahinter, daß eine Fläche nicht per se existiert, sondern durch Aneinanderreihung von kleinsten Einzelelementen entsteht.

D: Ähnlich dem Phänomen von Parallelen, die einander in der Unendlichkeit treffen, hat das mit rationalen Tatsachen zu tun, die die Phantasie im Moment des Visualisierens einlöst.

P: Sicher ist es die Faszination, daß in der Natur Millionen fast gleich aussehender, einander jedoch nie exakt entsprechender Grashalme nebeneinander existieren. Diese Struktur einer Wiese, eigentlich einer grünen Fläche, versuche ich mit dem Pinsel wiederzugeben.

D: Sie sind ein Maler, der in Grünabstufungen arbeitet und diesem oft als sehr schwierig beschriebenen Farbbereich sehr viel Raum läßt. Sie bevorzugen Grünnuancierungen gegenüber anderen Farbigkeiten. Das Blau ist relativ reduziert, das Rot dient vor allem zur Steigerung. Diese Grüntöne sind in ihrer Nuancierung, in ihrer Fast-Gedämpftheit von großer malerischer Delikatesse, von einer Feinheit, die durchaus die Gefahr in sich bergen könnte, absichtsvoll oder geschmäcklerisch zu sein. Meinem Empfinden nach passiert erstaunlicherweise genau dies nicht, sondern Sie erreichen gleichzeitig eine Deutlichkeit, Dringlicheit und Zurückhaltung. Das ganz saftige Dunkelgrün und das hervorknallende, helle Grün fehlen, eher ist es ein zurückgenommener Klang, eine trotz ihrer Intensität nichtschreiende Farbigkeit.

P: Grün ist für mich die faszinierendste Farbe, weil sie so variantenreich ist. Ich kann mit subtilsten Farbmischungen und nuancierten Zwischentönen arbeiten wie sonst kaum und bleibe immer noch im Grün, obwohl es von Fast-Gelb über Fast-Schwarz bis zu Fast-Blau geht.

D: Es ist für mich spannend, daß diese Kraft eher eine subtile, mehr der Qualität des Wäßrigen als einem anderen Element zuschreibbare ist. Sie scheint auch durch Lasuren Tiefe zu haben.

P: Ich erhalte bestimmte Wirkungen nicht durch Abmischen, sondern durch Schichtungen, wo Unteres nach oben durchdringen kann.

D: Bei dieser Arbeitsweise realisiert Farbe sich mehr als Farbwert denn als Materialwert.

P: Ich möchte Strukturen auf malerische Art wiedergeben, nicht als Materie, da ich Effekte, die ich mit einem dicken, pastosen Farbauftrag, mit einer Spachtelung erreiche, auch durch das Übereinanderlegen von Farbe erzielen kann, wobei Farbe jetzt nicht flüssige Substanz, sondern abstrakter Wert, elektromagnetische Wellenlänge ist.

D: Rekapituliert man den historischen Zugang von Malerei zur Landschaft, so war es ein wichtiger Schritt der Impressionisten, die spezifischen Lichtverhältnisse der Tages- oder Jahreszeit in der Arbeit deutlicher auszudrücken. Ihr Werk scheint mir keinem bestimmten Wachstumszyklus verpflichtet.

P: Bei diesen Zusammensetzungen aus vielen Landschaften spielt der Faktor Zeit natürlich mit. Es sind Erinnerungen an meine Kärntner Kindheit, den letzten Sommer im Waldviertel, einen Sonntagsspaziergang oder eine Reise.

D: Dieses innere Bild synthetisiert und komprimiert verschiedene Aspekte zu einem gesamtheitlichen.

P: Ja, ich versuche Träume und Erinnerungen abzubilden.

D: Es ist, als hätte diese differenzierende Wahrnehmung auch eine trennende Komponente, die Phänomene in ihre Bestandteile zerlegt und mit immer neuem Interesse für kompositorische Möglichkeiten und tatsächliche Wirkung neu zusammensetzt. Sie nach dieser trennenden Zeiterfahrung wieder an den Punkt führt, wo es alles in sich birgt und zu einem Ganzen macht. Dadurch erreichen Sie eine formale Geschlossenheit, ihre Bilder wirken kaum zerrissen, abkippend, sondern es scheint einen Punkt der Mitte zu geben.

P: Es ist zumindest die Suche danach, nach einer gewissen Harmonie.

D: Man könnte Harmonie natürlich auch negativ als das Ausblenden von Spannungsmomenten interpretieren, jedoch sind Spannungen, Aufeinanderprallen verschiedener Farbwerte, struktureller Möglichkeiten und ähnliches durchaus vorhanden. Trotzdem gibt es den Moment der Geschlossenheit, einer gewissen Abgeklärtheit.

P: Ich meine auch eine Harmonie, die die sie umgebende Spannung akzeptiert, in sich aufnimmt und verarbeitet, aber dennoch ausgeglichen ist.

D: Harmonie, die nicht aus Verdrängung, sondern aus Bewältigung resultiert.

P: Wahrscheinlich paßt der Ausdruck Suche nach der inneren Mitte besser.

D: Harmonie ist in der Musik ein Begriff klanglicher Qualität. Tatsächlich erarbeiten Sie hier auf farbige Weise Klangqualitäten aus verschiedenen Abtönungen von Grün und komplementären Spannungen, die aber auch eine musikalische Komponente beinhalten.

P: Damit habe ich ein Problem, da ich immer als unmusikalischer Mensch bezeichnet wurde. Mein Zugang zur Musik ist rein intuitiv.

D: Diese Analogie zwischen den klanglichen Phänomenen in der Musik und in der Malerei gibt es, da beides in Beziehung gebrachte Schwingungen sind. Klang wird in der Musik über intuitive Erfahrungen umgesetzt, enthält zwar eine rationale Ebene, jedoch ist es ohne Analyse möglich, die Qualität eines Klanges zu empfinden und zu bewerten, -sowie das Erlebnis farbiger Klänge als Information in der Arbeit weiterzutreiben.

P: Darum geht es wohl, das Ganze von innen her zu verstehen - und nicht darum, ob ich erlernt habe, etwas schön zu finden.

D: Könnte man diese vorher besprochene Mitte als Balance aus rationalen und intuitiven Möglichkeiten sehen? Daß das Rationale durch ein bewußtes Setzen von Zeichenhaftigkeit, Struktur oder kompositorischer Varianten und das Intuitive stark in der Farbigkeit und Tiefe, im offen- und Wachstumsmöglichkeiten zulassen, gegeben ist, ohne daß es voneinander getrennte künstlerische Ansätze sind?

P: Meine Farbauswahl ist sicher intuitiv. Ich überlege nicht, welches Rot für Spannung sorgt. Ich glaube, dabei sollte man weniger denken, sondern mehr dem Fühlen überlassen.

D: Vielleicht ist unsere Beschreibung dieser Phänomene auch ganz falsch, weil ja diese sogenannte intuitive Farb-Erfahrung beim Malprozeß etwas ist, worüber Sie dann verfügen. Vielleicht nicht völlig bewußt, mathematisch deutlich, sehr wohl aber als Potential. Daher bedeutet es mehr als nur dem Geschmack unterworfenes Auswählen, sondern es werden tatsächlich konkrete Erfahrungen weiter und neu miteinander verknüpft, was wiederum die Schwebe zwischen rational und intuitiv darstellt.

P: Sicher entwickelt sich die Intuition weiter, wie andere Fähigkeiten auch.

D: Es gibt Arbeiten, die den Eindruck einer kompositorischen Vorgabe vermitteln, oder wo sich bestimmte Elemente oft wiederholen. Hier zum Beispiel drängt diese blasenartige Form, die kreisend etwas Punktuelles in sich auflöst, viel mehr nach vorne als bei dieser Arbeit, die rund, irgendwie abgeklärt wirkt. Trotz belebender Feinstrukturen ruht dieses Bild in sich, während andere Werke, viel stärker collagierend, Fragmente zueinanderführen. Intensivierte dies die Dynamik des Malprozesses?

P: Es hat bestimmt damit zu tun, daß ich mir meiner Tätigkeit sicherer bin, mein Handwerk besser beherrsche als noch vor Jahren.

D: Ist es dadurch leichter, weniger absichtsvoll zu sein?

P: Ja, ich kann mehr dem Zufall überlassen und mich dadurch stärker auf die Komposition konzentrieren. Die Bilder haben auch viel mit meiner persönlichen Stimmung während des Malens zu tun, obwohl sich der Prozeß oft tage- oder wochenlang hinzieht. Währenddessen lasse ich dem Bild die Freiheit, sich zu entwickeln. So kann es schon vorkommen, daß zum Beispiel Shrimps zu Rosen mutieren.

D: Ist Malerei für Sie ein kommunikatives Medium?

P: Sicher! Viele Dinge könnte ich verbal gar nicht mitteilen. Es gibt mehrere kommunikative Prozesse: den inneren zwischen mir und der Natur, den zwischen mir und dem Bild, und den des Betrachters zum Bild.

D: Haben Sie Probleme damit, wenn man sagt, Ihre Arbeit sei schön?

P: Nein, da Schönheit in der Kunst für mich nicht abwertend ist.

D: Streben Sie Schönheit an?

P: Ja, schon!

D: Haben Sie eine Vorstellung davon, von dieser Schönheit?

P: Keine inhaltsleere, sondern aus Spannung resultierende Schönheit. Ich bevorzuge den Begriff der inneren Mitte!

D: Obwohl dies unter Umständen nicht automatisch Schönheit bedeutet?

P: Wirkliche Schönheit kann gerade beim Menschen nur von innen kommen.

D: Ein wichtiger Satz, ein guter Schluß.